Mittwoch, 29. Oktober 2014

Tierisch-gute Wandertage

Ich habe ein weiteres Lieblingstier. Es ist grau, neun Jahre alt, gefräßig und eigensinnig, aber unendlich liebenswert. "Galindo", so sein Name, wurde uns bereits im Vorfeld angepriesen. Und zwar von Jaime, dem Chef der Agentur "Away from the crowds", die sich auf Naturreisen abseits des Massentourismus' spezialisiert haben und unter anderem auch Eselwanderungen im landschaftlich reizvollen Hinterland von Madrid anbieten.

Galindo sei "der Star" unter den insgesamt rund 35 Eseln, schwärmte Jaime bereits am Sonntagmorgen auf der Autofahrt von Segovia nach Arcones, wo unsere 3-tägige Tour starten sollte. Dort wartete Galindo bereits geduldig auf uns, den wohl alle für seine Gutmütigkeit, unkomplizierte Art und für seine Intelligenz (er kann wohl selbständig eine Wasserflasche mit seinen Zähnen aufschrauben) lieben. Tobi und ich waren nicht nur von Jaimes Beschreibung, sondern auch vom ersten Eindruck begeistert: Vor uns stand ein großes, kräftiges Prachtstück von Esel, das sogar geduldig still hielt, bis wir unser Gepäck in zwei großen Satteltaschen verstaut und die wichtigsten Einweisungen erhalten hatten.

Kräftemessen mit einem Dickkopf auf vier Hufen

Doch kaum waren wir zwei alleine mit ihm die ersten paar Schritte gegangen, fing der Spaß an: Ruckartig warf Galindo seinen hübschen Kopf zur Seite und zog Tobi mit sich in den Straßengraben, wo er genüsslich zu fressen begann. Und schnell wurde uns beiden auch klar, was es mit der Redensart "Stur wie ein Esel" tatsächlich auf sich hat :-) Denn alles gut zureden, schimpfen, zerren, schieben oder locken half nicht viel: Für den ersten Kilometer haben wir fast zwei Stunden gebraucht. Und 14 weitere lagen an diesem Tag noch vor uns! Noch dazu kamen die belustigten Blicke der Einwohner des ersten Dorfes, das wir durchquerten. Dabei gaben wir uns wirklich alle Mühe, dass Galindo sich nicht über jeden Vorgarten her machte, an dem wir vorbei kamen ;-)

Angst schweißt zusammen

Wir haben trotzdem versucht, das Ganze mit Humor zu nehmen und uns in Sachen "Vertrauen" zu üben, dass unser Star-Esel über kurz oder lang schon noch anspringt. Denn anscheinend ist es auch normal, dass sich Esel zu Beginn einer Wanderung eher sträuben, weil sie zurück in ihren Stall und zu ihren Artgenossen wollen und dann am Ende der Tour plötzlich an Tempo zulegen, weil sie wissen, dass es heimwärts geht. So haben wir einfach die herrliche Landschaft genossen, weil wir mittlerweile wirklich fernab jeglicher Zivilisation unterwegs waren und noch dazu schönstes Wetter mit angenehmen Temperaturen um die 20 Grad hatten - eher ungewöhnlich für Ende Oktober.

Herzklopfen bekam ich aber nicht nur bei den Abschnitten, bei denen wir offenes Weideland durchquerten und uns die ringsum grasenden Kühe skeptisch musterten. Vor allem, als plötzlich ein Landstreicher mit vier kläffenden Hunden mitten im Nirgendwo vor uns zu sehen war, fühlte ich mich etwas unwohl. Zunächst war ich aber erst mal erleichtert, dass Galindo sich vom Knurren und Bellen der Hunde nicht aus der Ruhe bringen ließ, sondern einfach ruhig stehen blieb. Als dann aber der Landstreicher aufstand und uns zum Anhalten bewegen wollte, habe ich einfach nur gehofft, dass wir schnurstracks Land gewinnen. Und siehe da: Unser Esel fiel ebenso wie wir in einen schnellen Laufschritt und hielt so lange an keinem einzigen Grasbüschel mehr an, bis der uns nachrufende Landstreicher samt Anhang außer Sichtweite war - witzigerweise hielt Galindo sogar irgendwann an und blickte wie wir aufmerksam mit gespitzten Ohren auf unseren Wegabschnitt zurück. Irgendwie beeindruckend.

Alle lieben Galindo

Von da an war das Eis gebrochen und wir erreichten unsere Unterkunft - trotz weiterer, aber kürzerer Fress-Stopps - sogar noch vor Sonnenuntergang. In unserer stilvoll eingerichteten Unterkunft im kleinen Dörfchen Navafria erwartete uns Alejandra, die Galindo schon namentlich kannte und sich sehr über seinen Anblick freute. Ganz aus dem Häuschen war allerdings ein etwas kleinerer brauner Esel namens "Gordito", der freudig wiehrend angaloppiert kam und den eher unbeeindruckten Galindo begrüßte, als wir ihn zu einer nahe gelegenen Koppel für die Nacht brachten.

Wie sich herausstellte, gehörte Gordito zum selben Stall wie Galindo und war mit einer Familie aus Irland unterwegs, deren Kinder während der Wanderung abwechselnd auf ihm reiten durften. Als wir am nächsten Morgen in etwa zeitgleich unsere Esel versorgten und abmarschbereit machten, war uns Zweibeinern allerdings noch nicht klar, dass wir an diesem Tag noch viel Zeit miteinander verbringen würden. Denn kaum hatten wir uns alle in Bewegung gesetzt bzw. Tobi und ich nach fünf Minuten den ersten Fress-Stopp für Galindo eingelegt, stemmte auch der noch am Vortag so unkomplizierte Gordito alle Viere in den Boden und weigerte sich, auch nur einen Schritt ohne Galindo weiterzugehen.

Kulinarische Schlemmer-Tour statt Esel-Wanderung

Also wanderten wir alle gemeinsam zu unserer 16 km Unterkunft in Requijada. Natürlich stets im Tempo von Galindo, der unterwegs alles mitnahm, was der Wanderweg so her gab: Ob saftig-grüne oder furztrockene Grasbüschel, Klee, Wiesenblumen, kleinere Äste von Bäumen, Blätter von Brombeersträuchern, Silberdisteln oder sogar kurzzeitig Exkremente anderer Esel (hier hab ich dann aber angewidert eingegriffen) - nichts war vor unserem genüsslich kauenden Vielfraß sicher.

Die Besitzerin unserer nächsten Unterkunft erzählte uns sogar, dass Galindo sich schon mal über ihr Gemüsebeet hergemacht hat und seither über Nacht mit einer Leine am Baum befestigt werden muss. Das Schlimme ist: Man kann Galindo einfach nicht böse sein - auch dann nicht, wenn unsere eigentliche Wanderung in Begleitung eines Esels zeitweise mehr den Anschein einer kulinarischen Schlemmer-Tour für Esel in Begleitung von Menschen hatte ;-)

Tierisch-gutes Erlebnis mit viel Natur, Sonne und Ruhe

Deshalb fiel es mir auch echt schwer, gestern Abend bei unserer Ankunft in Pedraza, Abschied von unserem liebgewonnenen Dickkopf zu nehmen. Aber wir blicken auf in Summe fünf wirklich geniale Tage im Landesinneren von Spanien zurück. Sehr entspannt fand ich auch jeweils den An- und Abreisetag am Samstag und heute, an denen wir uns in Ruhe die beiden mittelalterlichen und wirklich sehenswerten Städtchen Segovia und Pedraza anschauen konnten.

Ganz besonders aber hat mit die Esel-Tour an sich gefallen - ein wirklich superschönes Geschenk von Tobi zu meinem diesjährigen Geburtstag. Auch wenn diese Art des Wanderns auf den ersten Eindruck vielleicht etwas seltsam oder lustig klingt (übrigens selbst für Spanier, die mit diesen Tieren historisch doch eigentlich enger verbunden sind als wir Deutschen) - ich kann es wirklich nur jedem weiterempfehlen, der Tiere und das Erkunden von abwechslungsreichen Wanderwegen in eindrucksvoller Naturlandschaft liebt.

Mein Fazit: Beim Wandern mit unserem Galindo wurde es zu keiner Zeit langweilig. Er war der beste Lehrer für ein Leben im Moment, schon allein deshalb, weil wir nie wussten, was als nächstes kommt und daher das Planen im Voraus einfach aufgaben. Außerdem war es eine super bequeme Art des Reisens, weil Galindo als Packtier unser Gepäck mühelos bergauf und -ab trug und wir alles Wichtige inklusive ausreichend Proviant stets bei uns hatten. Noch dazu freuen wir uns über ein paar Bauchmuskeln mehr, da wir einfach immer wieder herzlich über Galindo lachen mussten, nicht zuletzt über die lustigen Bilder aus unserer Selfie-Session :-)

Kleiner Ausblick: Was kommt jetzt?

Während ich diesen Blogbeitrag schreibe, sitzen wir gerade im Zug nach Gijon, einer Stadt die wieder ganz im Norden Spaniens in der Region Asturien direkt am Atlantik liegt. Von dort aus reisen wir voraussichtlich am Freitag weiter in die Nachbar-Region Galizien, wo wir unter anderem A Coruña und Santiago de Compostela besichtigen wollen. Wenn ihr einen Blick in meinen allerersten Blogbeitrag werft, könnt ihr die Route gut auf der Landkarte nachvollziehen.

Übrigens: Dass wir überhaupt gerade in diesen Zug sitzen ist mit einer ordentlichen Portion Glück verbunden. Im Gegensatz zur Deutschen Bahn ist beim spanischen Pendant "Renfe" die Sitzplatz-Reservierung im Fahrtpreis (von unschlagbaren 46 Euro für knapp fünf Stunden Zugfahrt) bereits enthalten. Heißt aber umgekehrt auch: Sind alle Sitzplätze vergeben, ist der Zug automatisch ausgebucht. Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, unsere Tickets für eine Zugfahrt an einem Mittwoch-Nachmittag bereits im Vorfeld zu kaufen - schließlich lebe ich ja jetzt im spontanen Spanien ;-) Jedenfalls hieß es auf der Anzeigetafel am Bahnhof, dass beide Züge nach Gijon heute komplett ausgebucht seien, worauf wir uns aufgeregt beim Verkaufsschalter erkundigten. Und doch (der Fahrkarten-Verkäufer konnte es selbst kaum fassen) waren für den früheren Zug noch genau zwei Plätze übrig, wohingegen der spätere Zug tatsächlich ausgebucht war.
So sitzen Tobi und ich jetzt zwar nicht nebeneinander, aber wir kommen doch noch wie geplant in Gijon an und ich kann jetzt die Zeit zum schreiben nutzen, denn dazu kam ich die letzten Tage kaum, weil ich jeden Abend erschöpft aber glücklich ins Bett gefallen bin :-)

2 Kommentare:

  1. Geil! Die Eselgeschichte ist bis jetzt mit die Beste. :) Freu mich immer Neues von Dir zu lesen und es ist schön zu wissen, dass es Dir bei Deiner Reise so gut geht! Kein Wunder, dass der Esel so viel isst, bei dem was er immer laufen muss. Und ich weiß wovon ich rede, bin am Sonntag tatsächlich meinen ersten ganzen Marathon gelaufen und Du willst gar nicht wissen, was ich davor und danach alles gegessen hab. So viel ess ich sonst die ganze Woche nicht. ;) So viel zu den News aus dem (kalten) Deutschland. Weiterhin eine tolle Zeit und ich bin schon gespannt auf die nächste Geschichte! Fühl Dich gedrückt, Deine Meli

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    1. Huhu liebe Meli, freut mich, dass dir meine Galindo-Geschichte so gut gefallen hat :-) Und herzlichen Glückwunsch noch zu deinem ersten Marathon - hab echt großen Respekt! Wetten, dass bei dem, was du davor oder danach vertilgt hast, mindestens eine Tüte Gummibärchen dabei war ;-)

      Fühl dich fest zurück gedrückt!!!

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